liebetiger  - Das Buch

 

 

Sport

Aber im Sport, und da besonders beim Fußball, ist er Spitze. Keiner spielt Linksaußen wie er! Trippeln, Täuschen, Tunneln und Flanken kann er wie kein zweiter.
Obwohl ihm der Ball noch fast bis zum Knie reicht und das Trikot unten weit aus der Hose hängt.
Fußball wird zu seiner ersten großen Leidenschaft. Hier blüht er auf, hier ist er anerkannt.
Hier wird bei der Teambildung darum gestritten, in welcher Mannschaft er spielt. Er selbst steht bei diesen Diskussionen um seine Person immer mit gesenktem Kopf daneben und spielt, wie verlegen und desinteressiert, den Ball zwischen den Beinen hin und her.
Er ist kein Bolzer, kein Kämpfer, kein Umhacker.
Den direkten Zweikampf, den körperlichen Kontakt mag er nicht und geht ihm aus dem Weg.
Er ist ein technischer Spieler, verspielt und in den Ball verliebt.
Ein Tor zu schießen alleine genügt ihm nicht, es muss schon auch ein schönes Tor sein, für den Torwart unerreichbar in die obere Ecke gehoben, in die Ecke gespitzelt oder gar durch die Beine getunnelt.
Dem Torschuss folgen dann seine einmaligen Triumphrituale, die Freude über den Erfolg im Gesicht, wird über das Spielfeld gezickzackt, die Arme hochgerissen, den Mund weit offen, aufgerissen zum stummen Siegesschrei.
Selbst im Triumph wird er nicht laut.

Er kennt die Bundesligavereine und ihre Spieler besser, als seinen Stundenplan. Er weiß mehr über Tabellenstände und Torverhältnisse als über  seine Schulnoten und Hausaufgaben.
Und dann macht er, zu meiner großen Enttäuschung, ausgerechnet Bayern München zu seinem Lieblingsverein und Lothar Matthäus zu seinem Lieblingsspieler.
Ich selbst bin Fan von Borussia-Mönchenklapptnix. Darüber kann er nur ganz müde lächeln.
Erst als er dann die alten Fotos aus meiner eigenen Fußballzeit in einem Album findet, bin ich wieder ein vollwertiger Gesprächspartner in Sachen Fußball für ihn. Und als ich ihm dann auch noch zeige, wie man eine Bananenflanke schießt, den Ball mit dem Außenrist anschneidet und fast aus dem Stand, wie Franz Beckenbauer, einen genauen Pass über das halbe Spielfeld schlägt, da werden wir auch Fußballfreunde fürs Leben. Wir spielen oft und gern mit- und gegeneinander, manchmal mit anderen Kindern zusammen, meist aber nur zu zweit. Vertreiben uns die Zeit mit Spielen, mit Elfmeter schießen, mit Hämmern, mit Schlenzern und Hebern, mit wunderschönen Torschüssen und –paraden.
Und danach liegen wir auf dem Rasen, mal bäuchlings, mal auf dem Rücken, erschöpft, verschwitzt, verdreckt, aber glücklich und trinken Cola.

Ingo wird größer, verschleißt so ganz nebenher Unmengen von Hosen, Hemden und Schuhen. Die Hosen immer an den Knien, entweder total mit Grasflecken und verdreckt oder gleich durchgelöchert bis auf die Haut.
Schuhe werden ihm nie zu klein, dazu haben sie überhaupt keine Zeit, sie sind schon vorher immer total kaputt und durchgescheuert.
Schnürsenkel sind ein Graus für ihn. Die werden genau nur einmal gebunden, kurz nach dem Kauf, dann nie mehr. Er benützt alle Schuhe wie Slipper. Deshalb sind auch seine Torschüsse so gefürchtet, denn nicht selten kommt mehr als nur der Ball auf den Torwart zugeflogen.

Dann kommen noch kurzzeitig diverse andere Sportarten dazu. Seine ersten Versuche mit dem Skateboard, habe ich heute noch auf Videoband.
Anschubsen, draufstehen, geht nicht!
Nochmals anschubsen, draufstehen, geht wieder nicht! Rumwackeln, vor und zurück, geht nicht!
Absteigen, hinsetzen, nachdenken!
Aufstehen, Anlauf und draufspringen!
Das Skateboard schnellt vorne hoch, rollt noch ein bisschen und bleibt dann mit einem Rad im Gullydeckel stecken. Ingo steigt nach vorne ab, schlagartig und ungewollt. Die Hose ist am Knie fast durch, aber nur weil die Hände den Sturz auf die Straße etwas abgebremst haben. Mit Schmerz und Wut im Gesicht und den Tränen nahe schleppt er sich bis zum Straßenrand, ein Bein zieht er nach. Am Randstein bleibt er sitzen und hält sein Knie und pustet auf seine Wunde.
Als er merkt, dass er gefilmt wird, dreht er das Gesicht weg und kriecht langsam wie ein Schwerverletzter über den Hof und in das schützende Dunkel der Garage.

Es folgen alle möglichen Sport- und Freizeitgeräte. Angefangen beim Dreirad, über das Kettcar, die Rollschuhe, Stelzen, Ski und Schlitten. Nichts macht er kaputt, abgesehen von einigen durchgebremsten Hinterreifen am Fahrrad.
Dazu kommen einige Blessuren und Verletzungen kleinerer Art.
Sturz vom Fahrrad, das Kinn aufgeschlagen, muss genäht werden.
Dann der Sturz auf die Treppenstufe aus Waschbeton und die Lippe gespalten.
Der Arzt meint, eigentlich müsste die Verletzung genäht werden, aber bei diesem kleinen energischen jungen Mann, könnte er das sicher nicht ohne Vollnarkose machen.
Das ist mir aber zu gefährlich, also wird die Wunde nur mit einem Pflaster zusammengezogen.
Wir sind noch nicht richtig aus der Praxis draußen, da ist das Pflaster auch schon wieder abgerissen.
Geblieben sind ihm aus seiner Sturz- und Fallzeit eigentlich nur zwei kleine Narben an Kinn und Unterlippe.
Nur wenn man genau hinsieht, kann man die weißlichen, dünnen Striche sehen.

 

© Rolf Robert - liebetiger 2002

 

 

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