liebetiger  - Das Buch

 

 

Go Cart

Am anderen Ende der Ortschaft ist eine Cartbahn. Zuerst schauen wir nur zu und trinken Cola oder essen Eis. Dann drehe ich alleine einige Runden und Ingo schaut zu, noch traut er sich nicht so recht. Das ist immer so bei ihm, er ist sehr vorsichtig, wenn er etwas Neues anfängt.
Doch schließlich, als sonst niemand mehr auf der Bahn ist, setzt er sich zum ersten Mal in ein Cart und dreht ganz vorsichtig einige Runden. Er ist begeistert, zum ersten Mal fährt er alleine Auto, wenn auch ein ganz kleines mit gar nichts drumherum.
Am nächsten Tag fahren wir zum ersten Mal gemeinsam.
Ingo macht zur Bedingung, dass ich ihn nicht überholen darf. Ich muss an Anita denken, „lassen Sie ihn auch mal gewinnen, er braucht das, er gewinnt gerne“, hat sie gesagt.
Also lasse ich Ingo vorfahren und überhole ihn nicht, wie ich es versprochen habe. Anfangs schaut er sich immer wieder um, weil ich direkt hinter ihm fahre. Dann lasse ich mich eine halbe Bahn zurückfallen, so dass er mich sehen kann und weiß, dass ich ihn nicht überhole.
Viel zu schnell ist die Viertelstunde vorbei, viel zu früh werden wir wieder in die Boxengasse gewunken. Wir sind beide verschwitzt, immerhin hat es in der Sonne mindestens 30 Grad und unter dem Sturzhelm noch einige Grad mehr.
Ingo ist rot im Gesicht, er ist aufgeregt, strahlt und ist ganz happy.
„Du hast mich nicht gekriegt“, sind seine ersten Worte. Schon will ich darauf antworten, da fällt mir Anita ein. „Du bist auch gefahren wie der Teufel“, sage ich statt dessen.
Stolz steht in seinen Augen, lässig hält er den Sturzhelm in der Hand und kommt auf mich zu, legt seinen Arm fast väterlich um mich und zieht mich in Richtung Bar. „Mach dir nichts draus, der Bessere gewinnt“ sagt er, „komm ich geb‘ ne Cola aus.“
An der Bar bestellt er auf spanisch zwei Cola, obwohl er sonst nie den Mund aufbringt, auch nicht auf Deutsch.
„Dos Coca Cola, por favor“, sagt er zum Kellner und zu mir „hast du noch Geld dabei?“
„Morgen gibt’s Revanche und dann nehm' ich mir ein schnelleres Cart, nicht so eine lahme Kiste wie heute“, sage ich. Während er den ersten Schluck Cola trinkt und aufpassen muss, dass er keinen der Eiswürfel verschluckt, meint er „das liegt nicht an der Kiste, das liegt am Fahrstil.“
Jetzt hat er es mir aber gegeben. Na warte nur bis morgen.
Den ganzen Nachmittag und Abend, bis zum Einschlafen gibt es nur ein Thema: Seinen Sieg.
Zuerst mit den Händen in der Luft fuchtelnd, dann mit dem Finger in den Rändern der nassen Gläser auf der Theke erklärt er mir seine Kurventechnik, zeigt die Bremspunkte auf wie ein Rennprofi.
Er redet und redet, den ganzen Abend. Er, der wegen seiner ruhigen, stillen Art in psychologischer Behandlung ist, läuft über, es bricht aus ihm heraus. Er hat heute etwas gefunden und lieben gelernt, das ihn prägen wird sein ganzes Leben lang.
Und ich war dabei. Ich habe es ihm gezeigt.
Natürlich gehen wir an diesem Abend sehr, sehr spät ins Bett. Noch ein letzter Drink auf der Terrasse, dann noch schnell ein paar letzte Runden im Swimmingpool. Selbst als ich schon todmüde im Bett liege, kommt er noch mal aus seinem Zimmer, setzt sich auf die Bettkante und fängt wieder an zu erzählen. Früher habe ich ihm immer die „Gute-Nacht-Geschichten“ erzählt, geht mir durch den Kopf und bevor ich einschlafe höre ich ihn noch sagen „morgen gehen wir wieder hin.“
Natürlich sind wir morgen wieder hingegangen und übermorgen auch, jeden Tag bis zum Ende unseres Urlaubs.

 

© Rolf Robert - liebetiger 2002

 

 

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