liebetiger  - Das Buch

 

 

Rafting - Vorbereitung

Wir fahren im Konvoi zum Raftingcamp am Inn und werden dort von Rudi unserem Bootsführer in Empfang genommen. Er ist ein Urtiroler, mit breitem österreichischem Dialekt und höflich und charmant im Umgangston, wie es sich für einen Tiroler Bergbauern gehört.
Zuerst wird unsere Gruppe getrennt nach Männlein und Weiblein. Die Weiblein nach links in die Scheuer, die Männlein nach rechts.
Dann ist Klamottenempfang wie bei der Bundeswehr, nur nicht so geordnet. Was man da alles braucht, für so eine kleine Bootsfahrt.
Moltoprenanzug, Moltoprenschuhe, Schwimmweste, Schutzhelm, Jacke. Und natürlich ein Paddel.
Die Klamottenausgabe ist auf der Wiese hinter der Scheuer und plötzlich ist wieder Männlein und Weiblein gemischt. Manche sind schon halb ausgezogen und stellen dann fest, dass die Klamotten nicht passen.
„Wo ist denn Kleidergröße achtundvierzig“, will ich von Rudi wissen, der wie ein Fels in der Brandung steht.
„Des ham mer net“, meint der, „mir ham nur Kloa, Middl und XXL.“
Er taxiert mich kurz und sagt dann „du brauchst Middl“ und nach einem weiteren Blick auf Ingo, „der braucht XXL.“
Ich dreh' mich zu Ingo um. Wieso braucht der XXL und ich Middl? .
Rudi hat bestimmt jemand anderen gemeint.
Wir fangen an zu suchen, aber das Sortiment ist schon ziemlich ausgedünnt. Ingo wird vor mir fündig. Vermutlich ist XXL besser sortiert als Middl. Eine Zeitlang läuft mir Ingo noch nach, hilft mir beim Suchen und gibt gute Ratschläge. Dann zieht er sich in die Scheuer zum Umziehen zurück.
Ich suche weiter. Endlich habe ich ein paar passende Schuhe gefunden, aber der eine ist schwarz und der andere ist blau.
Ich frage Rudi nach den passenden, farblich gleichen Einzelstücken.
Er sieht mich verständnislos an, „was wüst, zwoa schworze Schua oder zwoa blaue? Do schau umme, der do drim hoat a an blauen und an schworzen Schua an und humpelt a net.“
Man scheint in Raftingkreisen sehr wenig Wert auf passendes modisches Outfit zu legen. Misstrauisch untersuche ich meinen Moltoprenanzug, vielleicht habe ich einen für Frauen erwischt, oder gibt es da keine Unterschiede?
Plötzlich steht Ingo wieder neben mir.
Er ist noch nicht umgezogen. „Was ist los“, will ich wissen, „brauchst du noch was?“
Ingo zeigt mit dem Paddel auf die männliche Umkleideseite der Scheuer und sagt: „Da sind lauter Weiber drin.“
„Komm“, sage ich, „ich brauche noch ein Paddel und dann schau mer mal.“
In der Umkleidescheuer ziehen sich auf männlichem Territorium tatsächlich Frauen um. Da steht eine im Bikinihöschen und kurzem T-Shirt. Daneben eine im Büstenhalter, den Moltoprenanzug erst bis zur Hüfte hochgezogen.
Zuerst denke ich: „Verdammt, falsche Kabine“ und warte darauf, dass jemand „hau' ab du Spanner“ ruft.
Doch da seh' ich einen Mann, fast nackt, oben mit T-Shirt aber unten mit gar nix. Der steht mit dem Gesicht zu Wand und zieht sich gerade die Badehose hoch.
In der sperrangelweit offenen Scheunentür erscheint Rudi und ruft in das halbnackige Gedrängel: „Auf geht’s, ihr habt’s noch fünf Minuten.“
Ich erwische einen freien Platz in der Ecke und fange an mich auszuziehen. Ingo steht unentschlossen neben mir.
„Worauf wartest du noch, hast du nicht gehört noch fünf Minuten“, sage ich.
„Ich kann nicht“, sagt Ingo, „ich habe keine Badehose an.“
„Dann lass die Unterhose an, aber mach' jetzt zu, sonst sind wir die letzten“, erwidere ich und beobachte gleichzeitig eine Mittzwanzigerin, die sich in der Nähe die üppigen Brüste unter dem zu engen Moltoprenanzug zurecht rückt.
Ingo folgt meinem Blick auf die Dame im engen Moltoprenanzug, die jetzt gerade dabei ist den Sitz ihres Anzuges zwischen den Beinen zu korrigieren. Offensichtlich zwickt und kneift es da etwas.
Ingo reißt sofort den Kopf auf die Seite, blickt auf den Boden und setzt sich neben mich.
Ich ziehe gerade den zweiten, andersfarbigen Schuh an und weiß jetzt warum der übrig geblieben ist. Er hat ein Riesenloch in der Sohle.
Ach scheißegal, solange ich drauf stehe, sieht das doch sowieso keiner.
Ich stelle mich vor Ingo hin, der immer noch seine Ausrüstung umklammert und das Paddel zwischen die Beine geklemmt hat, als wolle er sich daran festhalten.
„Komm ich halte das Handtuch vor dich hin, da sieht dich keiner und außerdem sind wir jetzt auch die letzten“, sage ich.
Ingo zieht sich um. Er lässt die Unterhose an. Und was ich nicht gedacht hätte: XXL passt ihm.

Wir treten ins Freie. Die anderen der Gruppe stehen schon um das Schlauchboot herum und hören Rudi zu. Er erklärt wo vorne und hinten ist und was man mit dem Paddel machen muss.
Ingo und ich stellen uns hinten an die Gruppe an und hören zu. Ich versuche mich lässig auf dem Paddel aufzustützen, aber das Ding ist zu groß, ich bekomme es nicht unter die Achselhöhle. Dann halt die Hände drüber und unter dem Kinn verschränkt.
Ich schaue ein bisschen in der Gegend rum und beobachte die anderen Gruppen.
Plötzlich höre ich jemand rufen. „He du!“ Ingo rammt mir seinen Ellenbogen in die Seite und sagt: „Der meint dich.“
„Mich?“ „Wieso mich?“ „Wer meint mich?“
„Rudi meint dich“, sagt Ingo.
Alle Leute der Gruppe schauen mich an. Hab ich was gemacht, was Falsches getan, was ist los. Ich hab' plötzlich ein Gefühl wie seit der Schulzeit nicht mehr, als man mich beim Abschreiben erwischt hat.
„Woas wüst mit der Sonn’nbrülln“, ruft Rudi, „dia lost’s besser do, mir genga zum Räfting und net zum Flaniern auf die Promenade.“
Was hat der gegen meine teure, amerikanische Pilotensonnenbrille mit Spezialgläsern?
„Ich brauch' die, wegen meinen Augen“, rufe ich zurück.
„Unter Wasser brauchst ka Sonn’nbrülln net“, sagt Rudi.
Unter Wasser, wieso unter Wasser? Plötzlich wird mir klar, dass das keine Spazierfahrt werden wird. Ich schaue Ingo an. Ich mache mir plötzlich Sorgen, nicht um mich, ich mach' mir Sorgen um Ingo.
Aber der steht neben mir und lacht mit den anderen über den Witz den Rudi gerade gemacht hat.
 

© Rolf Robert - liebetiger 2002

 

 

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