liebetiger  - Das Buch

 

 

Schulprobleme

Ingo zögert, dann sagt er: „Ich hab' 'nen blauen Brief gekriegt, vermutlich werde ich sitzen bleiben.“
Ich weiß nicht was ich sagen soll. Wie soll ich mich jetzt verhalten. Natürlich gefällt mir das nicht, aber ändern kann ich es jetzt auch nicht mehr.
Schimpfen und Rumschreien bringt auch nichts. Das habe ich an meinem Vater immer gehasst.
Warum hat der eigentlich mit mir rumgeschrieen? Ach ja, richtig. Ich habe ja auch mal ‘ne Ehrenrunde gedreht. Wenn ich so an meine eigene Schulzeit zurückdenke, dann hat mir das eigentlich nicht geschadet. Ganz im Gegenteil, beim letzten Klassentreffen musste ich feststellen, dass aus den Klassenbesten nur biedere Beamte und Hausfrauen geworden sind.
Wogegen sich die Jungs und Mädels aus dem hinteren Klassendrittel irgendwo zwischen Tellerwäscher und mehrfachem Millionär eingependelt haben.
Ingo starrt wieder auf den dunklen Fernsehschirm.
Das wäre doch jetzt die Möglichkeit für eine erzieherische Maßnahme.
Drei Wochen kein Fernsehen, kein Taschengeld, kein Kino und dazu noch Ausgangssperre.
Doch ich bin kein Erzieher. Ich habe kein Sorgerecht.
Ich habe nur das Recht mich zu sorgen. Ich bin ja nur der Vater.
„Wie groß ist die Chance, dass du doch noch versetzt wirst“, frage ich. Ingo zuckt mit den Schultern und meint „vielleicht fifty fifty.“
„Also, praktisch aussichtslos“, sage ich sarkastisch. Ingo zuckt wieder mit den Schultern.
„Also, dann lass uns mal einen Plan machen“, sage ich.
Ingo schaut auf und meint: „Wir haben doch schon einen.“
„Ja, genau und den ändern wir jetzt ab“, schlage ich vor.
„Und wie machen wir das?“, will er wissen.
„Indem wir uns jetzt Pizza bestellen und nachdenken“, grinse ich ihn an.

Natürlich nehme ich das alles nicht so leicht, wie sich das jetzt hier liest.
Ganz im Gegenteil, ich mache mir große Sorgen.
Zuerst muss ich mal herausbekommen, wo Ingo’s schulische Schwierigkeiten liegen. Irgendwelche Entscheidungen kann ich nicht treffen, denn ich habe kein Sorgerecht.
Wenn seine Mutter ihn von der Schule nimmt, kann ich nichts dagegen tun. Ja, wenn er schon achtzehn Jahre alt wäre, dann ja.
Also frage ich Ingo aus.
Ich: „Welches sind deine schwachen Fächer?“
Er.  „In Sport bin ich gut!“
Ich: „Das wollte ich nicht wissen.“
Er:  „In Religion auch.“
Ich: „Das wollte ich auch nicht wissen.“
Er:  Schweigt.
Ich: „Was hast du für einen Notendurchschnitt in den Hauptfächern?“
Er: „Drei.“
Ich: „Dreikommanull?“
Er:„Nein, dreikommafünf.“
Ich: „Scheiße!“
Er:„Ja.“
Ich: „Tendenz drei?“
Er:„Nö, Tendenz vier.“
Ich: „Kannst du ausgleichen?“
Er:„Weiß nicht!“
Ich: „Wo kannst du besser werden?“
Er:„Weiß nicht!“
Ich:„Bekommst du noch Nachhilfe?“
Er: „Ja.“
Ich: „In welchen Fächern, in allen?“
Er:„Nö, nur in Deutsch, Englisch, Franz, Mathe und Physik.“
Ich: „Das sind doch fast alle!“
Er: „Nö, in Reli kriege ich keine Nachhilfe.“
Ich: „Und in Sport auch nicht!“
Er:„Genau, in Sport auch nicht.“
Ich: „Verarschen kann ich mich alleine.“
Er:„Ich wollte dich nicht verarschen, ich wollte nur einen Witz machen.“
Ich:„Mir ist nicht zum lachen!“
Er:„Mir auch nicht.“
Dann legt er den Kopf auf den Tisch und fängt an zu heulen.
Ich lege ihm die Hand auf den Kopf und streiche ihm durchs Haar, bzw. über das was sein neuer Haarschnitt sein soll.
Muss denn die Kopfform immer so betont werden, dass man aussieht wie ein kahlgeschorener Sträfling aus einem Arbeitslager im hintersten Sibirien?
 

© Rolf Robert - liebetiger 2002

 

 

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