liebetiger  - Das Buch

 

 

Katzen

Während des Urlaubs ist uns eine Katze zugelaufen.
Es geht ihr ziemlich schlecht, sie ist total abgemagert und krank scheint sie auch zu sein. Vermutlich gehört sie jemanden in den umliegenden Häusern, der für längere Zeit in Urlaub gefahren ist.
So ernähren wir die Katze halt mit. Sie kommt regelmäßig zweimal am Tag, maunzt und will was zu fressen haben. Niemand von uns versucht sie anzufassen oder zu streicheln, vermutlich würde sie das auch gar nicht dulden.
Kurz vor Ende des Urlaubs wird sie dann zutraulicher und ist immer in der Nähe von Ingo. Sie legt sich sogar neben seinen Liegestuhl am Swimmingpool.
Am Abend will sie sonderbarerweise mit ins Haus. Sie folgt Ingo bis in sein Zimmer.
„Das kommt gar nicht in Frage“, sage ich, „die Katze bleibt draußen.“
In der für ihn typischen Art steht Ingo da und schaut mich an. „Du hast schon mal eine Katze angeschleppt, weißt du noch“, sage ich.
„Ja, den Streuner, der ist mir nachgelaufen bis nach Hause und den haben wir dann behalten, denn sonst wäre er wahrscheinlich gestorben“, sagt er.

„Damals war es kalt, das war im Januar. Und das war in Deutschland. Jetzt sind wir in Spanien und es ist August, im August sterben keine Katzen. Und außerdem ist unser Urlaub in drei Tagen zu Ende. Du kannst die Katze nicht mit nach Deutschland nehmen“, sage ich, „und damit basta.“
Mit dem Fuß versuche ich die Katze in Richtung Tür zu drängen. Sie schaut zuerst Ingo hilfesuchend an und dann mich. Langsam weicht sie zurück. An der Tür bleibt sie nochmals stehen und sieht Ingo an.
Dann dreht sie sich um und verschwindet langsam über die Terrasse in der beginnenden Dunkelheit.
Als ich am nächsten Morgen die Haustür öffne, liegt sie tot vor der Tür. Sie ist schon steif, vermutlich schon vor Stunden gestorben.
Ingo weint, als er sie sieht. Er schaut mich an, macht mir aber keine Vorwürfe. Ich fühle mich trotzdem kotzelend. Zu meinem Glück übernimmt es Renate, die notwendige Beerdigung im nahegelegenen Wald durchzuführen.
Ich rede mit Ingo inzwischen über „Streuner“, unseren alten Kater. Vor vielen Jahren ist er Ingo einfach nachgelaufen. Als Ingo von der Schule kam und aus dem Bus ausstieg, ist ihm „Streuner“ bis nach Hause gefolgt.
Später erst gaben wir ihm den Namen „Streuner“, und noch später, als er schon zur Familie gehörte den Kosenamen „Baunzi.“
Streuner muss damals ein knappes halbes Jahr alt gewesen sein, als er sich Ingo zu seinem Beschützer auserkoren hat.
Er war ein kleiner, schwarzweiß gefleckter Kater. Dünn und krank war er. Den kalten Winter hätte er vermutlich nicht überstanden.
Lungenentzündung, Ohrmilben und Würmer diagnostizierte später der Tierarzt.
Zum ersten Mal gesehen habe ich Streuner am Wochenende als ich von einer meiner Geschäftsreisen zurückkam. Ich weiß noch, dass es eine Riesendiskussion gab. Weiterfüttern oder verjagen. Behalten oder wegbringen.
Wir haben uns für das Behalten entschieden und Unsummen in seine Gesundheit investiert. Baunzi ist vermutlich der teuerste schwarzweiße Kater weltweit. Anfangs lebt er nicht im Haus. Er bleibt immer draußen. Besonders mir geht er immer aus dem Weg. Er braucht nur meine Stimme zu hören, da ist er schon weg. Es dauert über ein Jahr, bis er sich von mir anfassen lässt.
Ingo liebt Baunzi und Baunzi liebt Ingo.
Baunzi ist ein lieber Kerl, ein bisschen verfressen zwar, aber mit ihm gibt es nie Probleme. Er ist vom ersten Tag an sauber. Im Sommer schläft er immer draußen, im Winter auf einem Sessel in der Wohnung oder unter der Heizung. Manchmal auch in Ingo’s Bett.
Es ist sonderbarerweise Baunzi, den ich nach der Scheidung am meisten vermisse, den ich am meisten mit der Erinnerung an Familie, Haus und Garten assoziiere.
Und jetzt sitze ich in Spanien an einem Swimmingpool und rede mit Ingo über Baunzi, den schwarzweißen Hauskater mit Charakter, während Renate im nahen Wald versucht eine namenlose, tote spanische Katze in der ausgetrockneten Erde zu verscharren.
Heute ist mir klar, dass Baunzi für Ingo und mich ein Symbol für die zerbrochene Familie war.
Baunzi ist der Katalysator über den mir Ingo Dinge aus seinem anderen Leben erzählen kann, ohne gegen ungeschriebene Regelwerke oder Verbote zu verstoßen. Er hat mit mir ja nur über Baunzi gesprochen.
Auch jetzt sprechen wir über Baunzi, um das nächtliche Geschehen und den Tod der spanischen Katze zu verarbeiten.
„Meinst du, sie wäre auch gestorben, wenn du sie im Haus gelassen hättest?“, meint er.
„Ja, ich denke sie hat gewusst, dass sie heute Nacht sterben wird, vermutlich wollte sie deshalb nicht alleine sein“, erwidere ich.
„Wie ist das, wenn man stirbt?“, sagt er, „wie ist das, wenn man alleine stirbt?“ Und dann noch mal, mehr wie zu sich selbst „wie ist das, wenn man stirbt?“
„Ich weiß nicht“, versuche ich das Ganze etwas ins Lächerliche zu ziehen, „ich bin noch nicht gestorben und schon gar nicht alleine.“
„Die arme Katze“, sagt Ingo, „sie wollte, dass ich bei ihr bin, wenn sie stirbt.“
„Was hättest du denn getan, wenn du es bemerkt hättest. Außerdem schläfst du sowieso immer wie ein Sack, also hättest du es gar nicht bemerkt“, sage ich.
„Ich hätte es bemerkt“, sagt er, „ich hätte es bestimmt bemerkt und wenn nicht, dann wäre sie wenigstens nicht alleine gewesen, als sie gestorben ist.“
„Du hättest ihr doch gar nicht helfen können, sie war krank, todkrank. Ihr war nicht mehr zu helfen“, versuche ich dagegen zu halten.
„Ja“, sagt er, „sie war so krank wie Baunzi damals. Aber den hast du reingelassen und deshalb ist er am Leben geblieben.“
„Er ist am Leben geblieben, weil wir uns alle um ihn gekümmert haben. Weil wir ihm zu fressen gegeben haben und ihn zum Tierarzt gebracht haben. Deshalb ist er am Leben geblieben und nicht weil ich ihn reingelassen habe“, sage ich.
„Was Baunzi jetzt wohl macht? Hoffentlich geht es ihm gut. Meinst du er vermisst mich?“, sagt Ingo.
„Ja, er vermisst dich sicher“, sage ich und merke, dass Ingo’s Gedanken sich von der spanischen Katze abwenden und zu Baunzi wandern.
„Ich wäre jetzt gerne zu Hause“, sagt er, „ich möchte jetzt gerne bei Baunzi sein.“
Ingo hat Heimweh!

 

© Rolf Robert - liebetiger 2002

 

 

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