liebetiger  - Das Buch

 

 

Burn Out

Wir treffen uns an einem Samstag mit unseren Fahrzeugen auf dem Trainingsgelände am Hockenheimring und werden von den Trainern in verschiedene Gruppen eingeteilt.
Ich habe mir einige Wochen vorher einen Sportwagen gekauft. Ein Cabrio. Einen Roadster. Einen BMW Z3. Tiefergelegt, verspoilert und verbreitert. Mit Sportfahrwerk, Alufelgen, Breitreifen und Ledersitzen. Schwarz wie die Nacht. Außen und innen.
Mit diesem Auto will ich am Fahrertraining teilnehmen und Ingo ist mit dabei.
Weil Samstag und unser Wochenende ist und weil er anfängt sich für Autos zu interessieren.
Wir haben Glück mit dem Wetter.
Es ist ein wunderschöner, warmer Tag im Mai.
Es gibt zuerst theoretischen Unterricht. Dann praktische Übungen dazu.
Wir lernen, wie man richtig bremst, auf trockener und auf nasser Fahrbahn, mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten.
Dann geht es zum Kurvenfahren. Zuerst gehen wir die Strecke ab und stellen an den Bremspunkten Markierungshütchen auf.
Auf die Frage des Trainers, wer als erster fahren will, meldet sich niemand freiwillig, denn die Kurve hat es in sich. Zuerst nach rechts, dann geht es leicht bergab und links wieder hoch um dann gleich wieder nach rechts auf eine Gerade einzumünden.
Jeder schaut jeden an und keiner traut sich. Ingo schaut mich an.
„Sollen wir?“, frage ich. Ingo nickt.
„Fährst du mit?“, frage ich. Ingo nickt wieder.
Wer jemals als Beifahrer in einem Sport- oder Rennwagen gesessen hat und die gewaltigen Fliehkräfte bei der schnellen Kurvendurchfahrt kennt, weiß dass man dazu mindestens drei Dinge braucht.
Erstens Vertrauen in den Fahrer, zweitens Vertrauen in den Fahrer und drittens Vertrauen in den Fahrer.
Wir schnallen uns an. Der Trainer gibt letzte Instruktionen über das richtige Anfahren der ersten Kurve und das Herausbeschleunigen aus der letzten Kurve.
Ich sehe Ingo an, der aufmerksam dem Trainer zuhört, der nochmals mit der Hand den Kurvenverlauf in die Luft zeichnet.
Dann sagt er „und los jetzt.“
Ich drücke das Gaspedal durch und lasse gleichzeitig die Kupplung los. Der Z3 schießt nach vorne, Kupplung und zweiter Gang, Vollgas, Kupplung dritter Gang, Vollgas, Kupplung vierter Gang, Vollgas, fünfter Gang, Vollgas.
Ich schaue nicht auf den Tacho, fahre nur nach Gefühl. Der Kurveneingang fliegt auf uns zu. Ich bin ganz links außen, hart am Fahrbahnrand, Kupplung, Zwischengas, runterschalten in den vierten Gang, ziehe den Wagen in die erste Kurve rechts rein, der Boden kippt unter uns weg, wir fliegen in die Senke hinunter und ich schneide nach links, merke wie sich der Wagen in die harte Federung drückt, spüre die Querbeschleunigung, trete das Gaspedal ganz durch, der Wagen schießt den Hang hoch, kommt auf die Kuppe, hebt sich leicht aus der Federung, Kuppeln, Zwischengas, dritter Gang, rein in die Rechtskurve, Vollgas im Scheitelpunkt und rausbeschleunigen auf die Gerade.
Ich schaue auf den Tacho, während ich wieder in den vierten Gang schalte. Einhundertsechzig KaEmHa.
Später erfahre ich, dass Rennwagen an dieser Stelle mit circa zweihundert KaEmHa gemessen werden.
Als ich herunterschalte und den Wagen langsam in einer Art Parkbucht am linken Straßenrand ausrollen lasse, fällt mein Blick zum ersten Mal wieder auf Ingo. Ganz ruhig sitzt er da, den Arm lässig auf den Türrahmen gelegt.
„Und?“, frage ich erwartungsvoll.
„Nicht schlecht fürs erste Mal“, meint er.
„Was heißt nicht schlecht fürs erste Mal, das war fast perfekt“, halte ich dagegen.
„Unten in der Senke, da hast du etwas gezögert, da hättest du früher Vollgas geben müssen, dann kommst du schneller die Steigung hoch, so hast du etwas an Schwung verloren“, meint er.
Wir diskutieren noch eine ganze Weile während wir auf das nächste Fahrzeug warten. Denn wir dürfen die Strecke erst zurückfahren, wenn auch der letzte Wagen durch die Kurven gefahren ist.
Aber es kommt kein weiteres Auto. Irgendwas scheint sich zu verzögern. So sitzen wir im Auto und warten.
„Weißt du was ein Burnout ist“, frage ich Ingo. „Ja, so irgendwas mit qualmenden Reifen“, sagt er.
„Das mach' ich jetzt. Willst du sitzen bleiben oder aussteigen“, sage ich.
Ingo schaut mich an, dann meint er: „Ich habe schon immer gewusst, dass du ein bisschen verrückt bist, ich bleib sitzen.“
Ich starte den Motor, werfe noch einen letzten Blick auf die Rennstrecke, doch weit und breit ist kein anderes Auto zu sehen.
Dann schlage ich die Lenkung ganz nach links ein, trete das Gaspedal voll durch und lasse gleichzeitig, fast schlagartig die Kupplung los.
Der Wagen schleudert hinten seitlich weg, während die Vorderräder stehen bleiben.
Mit durchdrehenden und qualmenden Hinterrädern dreht sich der Wagen um die stehenden Vorderräder. Einmal, zweimal, dreimal, viermal.
Dann nehme ich das Gas zurück, der Wagen kommt zum Stillstand, ruckelt noch kurz und steht dann vollkommen still.
Es ist totenstill um uns herum. Kein Vogel ist zu hören. Nichts außer dem Knistern des heißen Motors.
Über uns schwebt eine große bläuliche Wolke und es stinkt furchtbar nach verbranntem Gummi.
Wir schauen uns an und fangen an zu lachen.
Ingo sagt: „Wenn uns jetzt jemand beobachtet hat, dann denkt er wahrscheinlich auch, dass wir total bescheuert sind.“
„Womit er nicht ganz Unrecht hat“, meine ich.

 

© Rolf Robert - liebetiger 2002

 

 

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