liebetiger  - Das Buch

 

 

Führerschein

Ich weiß nicht mehr genau, wann Ingo anfängt sich für Motorräder zu interessieren, aber vermutlich hat es damals bei dem Sicherheitstraining auf dem Hockenheimring angefangen.
Am Lenkrad meines Autos saß er auch schon ein paar Mal. Aber so richtig begeistert hat es ihn nicht.
Dann kommt er plötzlich an und hat Bilder von Motorrädern aus der Zeitung ausgeschnitten. Statt Bildern von Fußball- und Eishockeystars sammelt er jetzt Bilder von Motorrädern.
Alle haben eines gemeinsam. Es sind Enduros, diese Geländemaschinen mit langen Federbeinen und groben Stollenreifen, kaum geeignet für den Straßenverkehr.
„Was willst du denn mit so einem Ding?“, sage ich, „da wirst du ja dreckig wie ein Schwein, wenn es mal regnet.“
„Ich finde das geil, wie die Dinger aussehen“, meint er, „so ein Ding kaufe ich mir mal.“
„Mach du erst mal deine Schule fertig und dann braucht man zum Fahren auch noch einen Führerschein“, wende ich ein.
„Den mach' ich doch mit links“, erwidert er, „und zwar so, dass ich den Führerschein genau an meinem achtzehnten Geburtstag bekomme.“
„Ja, ja, ja“, sage ich und glaube, die Sache wäre damit erledigt.
Doch in der Folgezeit lässt er nicht locker. Alles dreht sich um Motorräder. Wir diskutieren, was er nach der Schule macht. Lehrstelle hat er noch keine und mit seinem voraussichtlichen Schulzeugnis wird er so schnell wohl auch keine bekommen.
Es ist jetzt Herbst. Im nächsten Frühjahr wird er seinen Schulabschluss machen. Die Ehrenrunde in der vorletzten Klasse hat ihm gut getan.
Im Februar wird er achtzehn. Wenn er da seinen Führerschein haben möchte, dann muss er jetzt irgendwann damit anfangen.
Und dass er in unserer Gegend, so auf dem Land, einen Führerschein braucht ist auch klar.
Doch ich bin für ein Auto, da ist mehr um einen herum. Man hat ein Dach über dem Kopf und wenn man eine Freundin hat, hat man auch eine Rückbank um sich mit ihr zu unterhalten.
Das alles gibt es beim Motorrad nicht.
Irgendwann fangen wir an zu üben, wie sich Motorradfahrer grüßen, wenn sie sich mit dem Motorrad begegnen.
Ingo zeigt es mir und hält die Hand mit fünf abgespreizten Fingern hoch. Ich bin der Meinung, dass man nur zwei Finger, Zeige- und Mittelfinger, hebt um zu grüßen, denn sonst müsste man ja den Motorradlenker loslassen.
Bis wir genaueres wissen, werden alle möglichen Varianten durchprobiert. Wir sitzen uns auf dem Fußboden gegenüber und üben. Alle Grußvarianten, vom Einfingergruß bis zum Ganzhandgruß werden durchprobiert und durchdiskutiert.
Dazu selbstverständlich die Untervarianten bei schneller Vorbeifahrt auf gerader Strecke und in scharfen Kurven mit gleichzeitiger, gefährlicher Schräglage der Maschine.
Nach mehreren dieser Sessions sind wir uns weitgehend einig, dass bei normaler Geschwindigkeit der Zweifingergruß verwendet werden sollte. Das ist der Gruß, bei dem man die Hand nicht vom Lenker nehmen muss, der aber trotzdem für den entgegenkommenden Fahrer deutlich sichtbar ist. Dabei hebt man den Zeige- und Mittelfinger, lässt aber Daumen, Ringfinger und den kleinen Finger am Lenker.
Anders ist es bei langsamer Fahrt, der sogenannten Flanierfahrt, bei der der Fahrer die Maschine, als Zeichen seiner überlegenen Fahrkunst, nur mit der rechten Hand lenkt, während er die Linke lässig auf der Hüfte aufstützt. Bei dieser Fahrweise ist es angebracht, den Fünffingergruß zu verwenden, wobei die ganze Hand mit abgespreiztem Finger, die offene Handfläche dem entgegenkommenden Fahrer zugewandt, verwendet wird.
Jeden Samstag und Sonntag ziehen wir jetzt durch die Autohäuser und sehen uns bei den Motorrädern um. Man muss sich ja schließlich informieren, bevor man etwas kauft.
Bald stellt sich heraus, dass Ingo’s Wunschmaschine, eine kleine 125iger Enduro, nur bedingt geeignet ist. Man empfiehlt uns eine größere Maschine mit mehr Hubraum, denn mit dem kleinen Ding würde er von jedem 2CV auf der Straße überholt. Und das macht ihm auf Dauer bestimmt keinen Spaß.
Ich kann da nicht so mitreden, denn ich habe keinen Motorradführerschein.
„Waaaas, du hast keinen Führerschein?“, sagt Ingo. „Natürlich habe ich einen Führerschein, eben nur nicht für das Motorrad“, versuche ich mich zu verteidigen. „Ich bin damals, in deinem Alter Moped gefahren, da brauchte man noch keinen Führerschein“, sage ich.
„Mooopeeed“, sagt er, „das taugt doch nichts, wie sich das schon anhört.“
„Ich kann ja den Führerschein für das Motorrad mit dir zusammen machen“, schlage ich vor. Doch davon ist er überhaupt nicht begeistert.
Er will seinen Führerschein alleine machen, ohne mich.
Zu meinem eigenen Erstaunen bin ich richtig enttäuscht.
Na warte, dir werde ich es schon zeigen.
Ich mache den Führerschein dann eben alleine und heimlich und dann kaufe mir selber eine Maschine und zwar eine, dass du die Ohren anlegst.
Tatsächlich beginnt Ingo mit der Fahrschule. Er hat sich selbst angemeldet. Vom Opa hat er Geld für die Fahrstunden bekommen.
Ich kaufe mir eine CD für den Computer, da sind alle Fragen für die theoretische Führerscheinprüfung drauf. Die lerne ich jetzt und dann brauche ich nur noch ein paar praktische Fahrstunden mit dem Motorrad und habe dann ratzfatz den Führerschein im Sack.
Außerdem fahre ich ja schon mehr als zwanzig Jahre mit dem Auto, fast unfallfrei. Was soll da schon bei der Motorradführerscheinprüfung schief gehen? Das mach' ich doch mit links!
Denkste! Als ich zu Hause an meinem Computer zum ersten Mal versuche die Prüfungsfragen zu beantworten, falle ich mit Pauken und Trompeten durch die Prüfung. Das sind vielleicht blöde Fragen.
Was ist ein Andreaskreuz? Keine Ahnung!
Außerdem hatte ich gedacht, dass von den vorgegebenen Antwortmöglichkeiten immer nur eine richtig ist. Das war voll daneben. Manchmal sind auch alle Antworten richtig.
Na, ja. Lern' ich halt ein bisschen und versuche es dann einfach noch mal.
Wieder durchgefallen.
Scheiß Fragen, scheiß blöde Antworten. Wenn vor mir einer bremst, dann bremse ich doch auch, oder? Da schau ich doch nicht zuerst in den Rückspiegel um zu sehen, ob mir evtl. einer hinten rein fährt.
Ist mir doch wurst, wenn mir einer hinten rein fährt, Hauptsache ich fahre keinem hinten rein.
Also, diese Fragen für die Führerscheinprüfung muss ein Fußgänger aus dem afrikanischen Busch zusammengestellt haben.
Ingo liegt am Boden und kringelt sich vor Lachen, als ich ihm das alles erzähle.
Zwei Wochen später ist er selbst durch die theoretische Prüfung gerasselt.
Ich hatte ihn gewarnt.
Mit dem Führerschein genau zum achtzehnten Geburtstag wird es nichts. Aber drei Monate später hat es dann geklappt.
Und wir haben ein Motorrad gefunden. Nach langem Suchen.
Eine Suzuki ist es. Genau eine Suzuki 650 DRS.
Das ist die Straßenversion einer Enduromaschine. Sieht aus wie ein Querfeldeinmotorrad, hat aber Schutzbleche und Beleuchtung. Blauschwarz ist die Maschine, fast neu, kaum gelaufen und sehr gepflegt. Ingo ist zufrieden und ich bin es auch.
Die Maschine muss in der Leistung gedrosselt werden, denn Ingo darf als Führerscheinneuling nur bis 32 PS fahren. Nach zwei Jahren kann man die Drosselung wieder entfernen lassen, dann hat die Maschine wieder ihre volle Leistung.
Die Maschine und sein erstes Auto bekommt er von mir geschenkt. Seine Schwester hat zum achtzehnten Geburtstag auch ein Auto bekommen.
Ich verteile die Geschenke aus erzieherischen Gründen auf Weihnachten und den bald nachfolgenden Geburtstag.
Ich weiß noch genau, wie wir das Motorrad abholen. Gekauft haben wir es ja bereits Monate vorher. Aber da keiner von uns beiden einen Führerschein hat, müssen wir es beim Händler solange stehen lassen.

© Rolf Robert - liebetiger 2002

 

 

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