Frankfurt am 24. Dezember 2003

Lieber Tiger,

jetzt wird wieder Weihnachten. Zum vierten Mal ohne Dich.
Ob ich noch an dich denke, werde ich manchmal gefragt und wie oft. Ich muss dann lächeln, denn wie könnte ich Menschen böse sein, die nicht wissen können wie dumm ihre Frage eigentlich ist.
Ich versuche ihnen zu erklären wie das ist, wenn man seinen Sohn verliert. Ich versuche ihnen zu erklären, was „nie wieder“ eigentlich bedeutet.
Und obwohl ich in der Zwischenzeit einige Übung im Erklären habe, spüre ich, wie sie mir schon nach kurzer Zeit nicht mehr folgen können. Sie können sich einfach die Endgültigkeit des Todes nicht vorstellen. Es übersteigt ihre Vorstellungskraft.
Wenn sie dann ihrerseits über den Tod sprechen, dann bewundere ich sie ob ihrer Naivität und kindlichen Unschuld, nicke verstehend mit dem Kopf und lächle sie an.
Wie soll auch jemand, der unter den schillernden Farben des Regenbogens lebt, verstehen was die schwarze Farbe des Todes ist.

Seit du nicht mehr bei mir bist, ist Weihnachten anders geworden. Es gibt keine Vorfreude, keine Vorbereitungen mehr. Irgendwann ist Weihnachten einfach da. Es ist ein stilles, sehr ruhiges Weihnachten. Ein Weihnachtsfest mit Geschenken, Musik und Freude ist es nicht mehr.
Es ist ein Weihnachten der Erinnerungen geworden.
Erinnerungen an Dich, bei Kerzenschein, mit einem guten Glas Wein und den wenigen Menschen, die ich noch in meine Nähe lasse.

Auf dem Tisch steht dein Bild im flackernden Schein der Kerzen und wenn ich die Augen schließe dann bist du bei mir.
So wie jetzt.

Fröhliche Weihnachten Tiger.

Ich dich liebetiger und pass auf Dich auf
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