Frankfurt, den 31. März 2003

1055 Tage ohne dich.

Lange war ich nicht mehr bei dir am Grab.
So kommt es mir vor, denn dein dritter Todestag kommt immer näher.
Am 10. Mai vor drei Jahren hat es dich aus dem Leben und von meiner Seite gerissen.

Mir ist als wäre es gestern gewesen.
So frisch sind deine Spuren in meinem Leben. Ich wache morgens mit Gedanken an dich auf, nachdem ich Nachts von dir geträumt habe und durch unsere gemeinsamen Erinnerungen gereist bin.
Tagsüber stoße ich immer wieder, auf deine Spuren in meinem Leben. So wie auf die alten Turnschuhe, deine Kickstiefel, die mir einen emotionalen Knockout verpassen.
Und letzte Woche, als ich nach langer Zeit mal wieder am Computer war und unser altes Computerspiel „Quake“, dieses „Kill & Run Game“, gespielt habe.

Diesmal alleine ohne dich, nur gegen den Computer und seine Monster, die mir nach dem Leben trachten; ohne deine Unterstützung und Hilfe. Kein Teamwork mehr, keine Feuerschutz, keine Rückendeckung um zu überleben.
Allein auf mich gestellt habe ich es auch nicht bis in den nächsten Level des Spiels geschafft; die Monster haben mich vorher erwischt und gnadenlos gekillt.
Und als mein elektronischer Todesschrei aus dem Lautsprecher hallte, erschien zeitgleich eine Meldung am Bildschirm „Player Ingo was killed by a Shambler“.

Ingo was killed by a ShamblerIm Computer sind noch deine Spieleinstellungen gespeichert.
Der Computer kann sich noch an den Player Ingo erinnern. Er kann ja nicht wissen, dass der Player Ingo im realen Leben von einem „Lastwagenfahrer“ getötet wurde.
Ich weiß noch genau, wie wir damals deine Spielerfigur für dieses Spiel eingerichtet haben. Heute würde man dazu „gecustomized“ sagen. Diese Figur ist noch da, genauso wie du sie wolltest. Jedes einzelne Detail. Die Farbe der Hose, der Jacke, des Helm.

Ich starre fassungslos auf die Meldung am Bildschirm „Player Ingo was killed by a Shambler und sehe deine Spielerfigur über den Bildschirm laufen.

Na, Vatterle auf was wartest du noch?Die geballte Ladung Erinnerungsschmerz traf mich ohne Vorwarnung. Mir blieb die Luft weg, die Tränen schossen mir aus den Augen und ein Seufzer kam aus meinem Innern von ganz tief unten. Dieser Seufzer kommt von ganz tief drinnen, er kommt langsam die Luftröhre hoch, füllt den Rachenraum und drückt dann mit brutalster Gewalt den Kiefer auseinander, verzerrt das Gesicht zur Fratze und dringt mit aller Gewalt ins Freie.

Wie nach dem unverkennbaren, einmaligen Geräusch eines fallenden Baumes, das dem Lärm der Kettensäge folgt, folgt dann absolute Stille. Als würde die Welt zum Gedenken kurz den Atem anhalten und den Verlust zu betrauern.
Im Wald bleibt nach dem Fällen eines Baumes eine Lücke, die die Natur im Laufe der Jahre mit neuem Leben wieder schließt.

In meinem Herzen ist eine Lücke, die sich nicht wieder schließt.

Hier wächst nichts nach.
Der Platz, dein Platz, bleibt so wie er ist.
So als wärst du erst gestern gegangen.

Mir ist als wäre es erst gestern gewesen.

Pass auf dich auf, da wo du jetzt bist.

Ich dich „liebetiger“