Gedenkstein

Hallo Tiger,

heute kam endlich das Angebot für deinen Gedenkstein, den ich an der Unfallstelle für dich anbringen lassen will.
Seit fast einem Jahr renne ich deswegen von Behörde zu Amt und von Amt zu Behörde.
Keiner ist richtig zuständig und keiner will etwas entscheiden.
Die Gemeinde schiebt es auf die Straßenverkehrsbehörde, will sich aber nicht festlegen wer dort für was zuständig ist.
Und bei der Straßenbauamt kann man nicht feststellen, welcher Sachbearbeiter für den entsprechenden Straßenabschnitt zuständig ist, denn die Behörde wird gerade umorganisiert.

Weil ich nicht lockergelassen habe, hatte ich dann endlich einen Mitarbeiter des Straßenbauamts am Telefon. Ich erklärte ihm, dass es um eine Gedenktafel am Straßenrand geht, an der Stelle wo du dein Leben verloren hast.
„Da war ein schwerer Unfall?“, wollte er wissen, „Davon weiß ich gar nichts! Seit wir die Kreuzung zum Kreisverkehr umgebaut haben, ist dort doch kein Unfall mit Todesfolge mehr passiert. Viele Eltern stellen anfangs ein einfaches Holzkreuz auf; das wird meistens geduldet, weil nach zwei bis drei Jahren das Kreuz umgefallen oder bei Mäharbeiten abgemäht wurde. Wieso wollen Sie jetzt da eine steinerne Gedenktafel aufstellen, das ist doch etwas ungewöhnlich?“
„Weil mein Sohn dort gestorben ist! Weil Sie für ihn den Kreisverkehr zu spät gebaut haben. Und weil mein Sohn für immer tot ist und nicht nur für zwei bis drei Jahre. Deshalb, soll es eine steinerne Gedenktafel sein!“

Als er merkte, dass ich mich nicht abwimmeln lasse, hat er sich hinter seine Paragraphen zurückgezogen. Verordnungen, Vorschriften, Gesetze, der Republik, des Landes, der Kommunen, der Behörden wären zu beachten. Alles sehr schwierig.
Ich habe ihm geduldig zugehört und als er endlich fertig war mit seinen Ausführungen und vermutlich gedacht hat, dass ich jetzt aufgebe, habe ich ihm gesagt, dass ich dennoch eine steinerne Gedenktafel anbringen möchte.

Vermutlich um mich loszuwerden versprach er sich um die Sache zu kümmern und für die Gedenktafel eine geeignete Stelle zu suchen, wo dadurch kein anderer Verkehrsteilnehmer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.
Er hat sich tatsächlich nach einigen Wochen wieder gemeldet und mir eine Stelle genannt, wo die Tafel angebracht werden kann. Allerdings müsse er vorher noch sehen wie diese Tafel aussieht und wie groß sie ist.

Ich habe dem Herrn Sachbearbeiter Abbitte geleistet und ihn für die Einhaltung seines Versprechens in mein Nachtgebet eingeschlossen.
Tags darauf bin ich zum Steinmetz gefahren, habe ihm eine Skizze und den Text für die Gedenktafel gezeigt und wollte von ihm einen Kostenvoranschlag und eine vermasste Zeichnung für die Straßenbaubehörde haben.
Der Herr Steinmetz hat sich über die schlechte wirtschaftliche Lage ausgelassen und drei Monate dazu gebraucht um einen Kostenvoranschlag zu erstellen.
Zweimal musste ich ihn noch telefonisch daran erinnern.

Gestern kam jetzt endlich das Angebot. Er hat sich wirklich nicht besonders viel Mühe gegeben.
Vermutlich hat er selbst gar keine Kinder. Bestimmt aber keine Kinder, die tot sind.
Sonst hätte er sich ein bisschen mehr angestrengt.

Ich werde den Auftrag sicher an einen anderen Steinmetz vergeben.
Aber jetzt kann ich endlich zum Straßenbauamt gehen und mir die schriftliche Genehmigung abholen. Wenn es sich der Sachbearbeiter in der Zwischenzeit nicht anders überlegt hat!
Aber ich habe ja Zeit und ich bin hartnäckig.
Sicher werden noch einige Monate ins Land gehen bevor es soweit ist.
Aber ich lasse nicht locker, das verspreche ich dir.

Pass auf dich auf, da wo du jetzt bist.

Ich dich liebetiger.