Frankfurt, 28. Dezember 2002

Unfall mit Todesfolge

Habe nur zwei Stunden geschlafen und schon ist für mich die Nacht wieder um. Es ist besser aufzustehen und mich mit dir zu unterhalten, als mich noch stundenlang ruhelos im Bett herum zu quälen.
Du fehlst mir sehr und ich vermisse dich unendlich.
Ich sehe andere Familien mit Kindern und andere Väter mit ihren Söhnen. Und ich starre die Söhne an und beobachte sie. Es ist für mich erschreckend, wie gleichgültig und wenig liebevoll viele Väter mit ihren Söhnen umgehen. Ich könnte manche davon schütteln denn kaum einem Vater ist bewusst wie vergänglich seine kleine Familie ist.
Gestern habe ich in der Zeitung von einem Vater gelesen, dessen 15-jährige Tochter von einem betrunkenen Autofahrer getötet wurde. Ein Jahr auf Bewährung, Führerscheinentzug und eine Geldstrafe von 3000 Euro hat er bekommen, obwohl es schon der zweite Unfall mit Todesfolge ist, den er im Rausch verursacht hat. Der Vater hat das Urteil angefochten. Ich kann ihn sehr gut verstehen und habe mir schon überlegt, ob ich ihm schreiben soll. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Verhandlung gegen den Lastwagenfahrer, der dich auf dem Gewissen hat. Zu sechs Monaten Führerscheinentzug und 4000 DM Geldstrafe ist er verurteilt worden. Er hat den Gerichtssaal als freier Mann mitsamt seinem Führerschein verlassen. Nichts hat sich für ihn geändert, aber auch gar nichts. Der Richter begründete das Urteil damit, dass man dem jungen Mann seine Zukunft nicht verbauen wollte. Deine Zukunft hat dabei keine Rolle gespielt, du warst nur das Opfer. Kein Wort des Bedauerns, keine Entschuldigung oder irgendein Versuch das Geschehene aktiv zu bewältigen. Er wusste noch nicht einmal deinen Namen und hat sich im Gerichtssaal auch noch seine eigene Wahrheit zusammengelogen.
Der nicht mehr existenten irdischen Gerechtigkeit ist mit der Hilfe seines Anwalts entkommen. Ich freue mich schon auf den Tag, wenn du ihn in die Finger bekommst. Ich hoffe, dass das bald ist und ich es noch erlebe. Wenn nicht, dann werde ich mit dir zusammen auf ihn warten. Irgendwann wird er kommen. Je früher desto besser.

Eigentlich wollte ich darüber gar nicht mit dir reden. Eigentlich wollte ich dir nur sagen wie sehr ich dich vermisse und wie sehr sich mein Leben verändert hat, seit du nicht mehr da bist. Eigentlich wollte ich dir nur sagen, wie schön die Zeit mit dir war, wie sehr ich dich liebe.
Jeden Tag denke ich an dich. Jeden Tag treibt mir eine Erinnerung an dich salziges Wasser aus den Augen und schnürt mir die Kehle zu.
Du warst mir ein guter Sohn und mein bester Freund. Ich hätte dich so gerne noch ein bisschen bei mir gehabt.

Leb wohl und gib auf dich acht.

Bis bald.