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Christa
10.05.2003
Der Brunnen der Trauer #: 78
Diejenigen, die nicht unter die ruhige Oberfläche
des Brunnens der Trauer tauchen,
die nicht eintauchen in sein schwarzes Wasser,
bis dort unten, wo wir nicht atmen können,
werden nie die Quelle kennen, aus der wir trinken,
das geheime Wasser, kalt und klar,
und sie werden auch nicht in der Dunkelheit
die kleinen runden Münzen schimmern sehen,
die von jenen hineingeworfen wurden,
die sich etwas anderes gewünscht hätten.
(David Whyte)
Meine Gedanken sind heute bei Ingo.
Christa (Mutti von Carsten)
Papa
10.05.2003
Leben ohne Dich #: 77
Heute, heute genau vor drei Jahren bist du von mir gegangen.
Mehr als tausend Tage bin ich nun schon ohne dich.

Und doch ist es mir so, als wäre alles erst gestern geschehen. Die durch deinen Tod geschlagene Wunde ist frisch, offen, tut weh wie am ersten Tag. Sie heilt nicht, vernarbt nicht, schmerzt und ist mir allgegenwärtiger, ständiger Begleiter.

Der Schmerz und die Verzweiflung über deinen unsinnigen Tod brennen mir in der Kehle. Dein Verlust lenkt meinen Blick suchend und ruhelos schweifend über die Gesichter der Menschen die täglich an mit vorübergehen. Ich schaue in ihre Gesichter und suche eigentlich nach dir. Ich sehe sie fragend an und sehe ihre Blicke verständnislos ausweichen.

Ob sich das ändert?
Ich weiß es nicht!
Was sich geändert hat?
Ich! Ich habe mich verändert!

Mein Leben hat sich verändert. Meine Tage und meine Nächte sind anders geworden. Die Leichtigkeit und Sorglosigkeit ist gegangen. Die Freude und das Lachen sind anders, ruhiger geworden. Auch vorsichtiger, hintergründiger und tiefsinniger.
Meine alten Freunde sind gegangen, sie haben es mit mir nicht mehr ausgehalten. Oder ich habe es mit ihnen nicht mehr ausgehalten. Wer weiß das schon? Eigentlich ist es auch egal.
„Freunde in der Not, gehen Tausend auf ein Lot“, sagt ein altes Sprichwort. Es hat weh getan, wie sie sich abgewendet haben und wie ihnen andere Dinge wichtiger geworden sind. Ich habe ihnen nachgesehen. Manchen nur kurz, manchen sehr, sehr lange. Konnte es nicht glauben, dass sie gehen. Konnte nicht glauben, dass ich ihnen zuviel war. Konnte nicht glauben, dass sie mich im Stich lassen. Konnte nicht glauben, dass ich ihnen auf die Nerven gegangen bin, dass sie keine Geduld mehr mit mir hatten. Konnte nicht glauben, dass sie mein stummes „Warum“ und meinen fragenden Blick nicht mehr ertragen konnten.

Die Zeit hat andere Freunde gebracht, aber weniger. Ich habe sie in der Trauer kennen gelernt, vielleicht gehen deshalb diese Freundschaften tiefer, sind anders.

Ich lebe anders.
Ruhiger. Stiller. Zurückgezogener.
Lebe mehr für mich.
Lebe ohne dich.
Muss ohne dich leben.
Muss leben.
Muss noch leben.
Muss noch bleiben.
Darf noch nicht gehen.
Noch nicht.
Noch nicht jetzt.
Muss noch warten.

Du bist tot. Und ich lebe.
Aber es ist ein anderes Leben. Es ist ein Leben ohne dich.
Dein sinnloser Tod hat nicht nur mein Leben, sondern auch meine Zukunft verändert. Er hat mir unsere gemeinsame Zukunft genommen und mir eine andere, ohne dich, gegeben. Aber diese Zukunft will ich nicht haben. Ich mag diese Zukunft ohne dich nicht.

Du fehlst.
Du fehlst mir.
Du fehlst mir sehr.
Du fehlst mir unendlich.

Ich würde dich gerne noch einmal in den Arm nehmen.
Dürfen.
Können.
Drücken.
Halten.
Deine Nähe spüren.

Besonders heute. An dem Tag als es dich aus deinem Leben gerissen hat.
Weg von mir.

Ich liebe dich.
Ich dich „liebetiger“.
Leb wohl und pass auf dich auf.
Ich dich „liebetiger“.
Brigitte
08.05.2003
Lebendig #: 76
Gestern Abend habe ich auf Malta dein Buch zu Ende gelesen. Es hat mich beruehrt. Sehr beruehrt.
Anfangs konnte ich nur einige Seiten am Stueck lesen. Dann musste ich es zur Seite legen, und mich hinlegen.
Deine offene Art wie du schreibst, beschreibst, wie du als Vater mit Ingo lebst. Und mit jeder Seite, die ich lese, lerne ich Ingo besser kennen.

Mit deinem Buch 'liebe tiger' ist fuer mich Ingo Lebendig geworden.

Und dann sind in mir auch so viele Erinnerungen und Bilder aufgetaucht. Von meinem Sohn Fredi, und auch von meinen beiden anderen, lebenden Kindern, als sie noch kleiner waren. Diese Bilder nehmen mich immer wieder mit in mein frueheres Leben, mit Fredi.


An Ingos 3.Todestag fliegen wir fruehmorgens zurueck. Dem Himmel etwas naeher. Ingo, Fredi und Shantala naeher? Ich weiss es nicht.

In Gedanken bei Euch sind Brigitte und Carmen
Papa
07.05.2003
In Memorian #: 74


Du warst uns ein guter Freund.
Du warst uns ein echter Kumpel.
Du warst uns ein Sohn und Bruder, wie wir ihn uns besser hätten nicht wünschen können.

Doch du gehörtest nicht uns.

Wir hätten Dich gerne noch ein bisschen bei uns gehabt, denn Du hast uns viel Freude bereitet.

Pass auf Dich auf, da wo Du jetzt bist.

Wir denken an Dich und lieben Dich wie am ersten Tag.
Martina
30.04.2003
Liebe Familie, #: 73
über LOD bin ich auf diese schöne-traurige Seite gekommen
und möchte nicht gehen, ohne einen lieben Gruß zu hinterlassen.
Wir haben unsere Jennifer in Alter von 14 Jahren durch einen
schrecklichen Autounfall verloren.

Tränen laufen über dein Gesicht.
Du begreifst den Tod,selbst dein Leben nicht.
Fühlst den Boden unter dir nicht mehr,
fühlst dich einsam und leer.
Den Halt verloren, weil jemand dich alleine ließ.
Die Worte nicht mehr hörend,
die ein anderer die ganze Zeit zu dir spricht.
Nicht verstehend warum das alles mit dir geschieht.
Versuche die Kraft zu finden,
die Liebe zu sehn.
Versuche es zu verzeihen, das jemand von dir ging.
Auch wenn du ihn nicht mehr siehst,
in deinem Herzen gegleitet er dich,
denn vergißt niemals seine Stimme,deine Worte,
sein Gesicht.
Erinner dich mit einem lächeln zurück,
und freu dich, er begleitete dich ein Stück.
Lebe dein Leben weiter, denn es hört nicht auf.
Vertrau auf die Engel, denn einer paßt ganz sicher auf dich auf..

Liebe Grüße und noch viel Kraft -
Martina Mit Jennifer im Herzen
Papa
28.04.2003
Tagtraum #: 72

Ich sehe Ingo aus dem Licht heraus auf mich zufahren und so knapp vor mir anhalten, so als wollte er mich mit dem Reifen anstoßen.
Gut sieht er aus auf seinem Motorrad. Er nimmt den Helm ab und lacht unter seiner Sturmhaube.

Ich kann es ganz genau sehen. Wir schauen uns lange an, blicken einander genau in die Augen, ohne ein Wort zu sagen.
Dann hebt er die Hand und zieht er sich die Sturmhaube vom Kopf. Das Licht um ihn wird heller, blendet mich und sein Bild verschwindet langsam im gleißenden Licht wie es gekommen ist.

Ich kneife die Augen zusammen, nicht nur wegen dem Licht, sondern auch wegen der Tränen. Mein rechtes Bein tut weh, als hätte mich dort etwas getroffen.

Papa
26.04.2003
Die Allee der toten Kinder ...... #: 71

Die Allee der toten Kinder ......

ich gehe sie entlang.
Jeden Tag, jede Nacht, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde, jeden flüchtigen Moment.
Kenne jeden Stamm, jedes Blatt, kenne die Risse in der Borke und den Verlauf ihrer Wurzeln.

Manche Bäume sind klein, sehr klein. Andere groß, manche schon so groß dass man den Kopf heben muss um den Gipfel zu sehen.

Aber alle Bäume haben eines gemeinsam.
Keiner ist zu groß, als dass man ihn nicht umarmen könnte.
Keiner der Bäume ist ausgewachsen.
Keiner hatte die Zeit dazu.
Es war nicht das Alter, das sie sterben ließ.
Es war die Zeit.

Warum?
Ich kann es nicht verstehen.....


Julia
19.04.2003
Ostern #: 70
Liebe Familie,hiermit möchte ich dir einen ganz lieben Ostergruss zukommen lassen,ganz viele Sonnenstrahlen und ein Licht,ein Licht für Ingo und Ihnen viel Kraft und Mut für das Osterfest wünschen! Ich denke es werden sehr viel schöne Erinnerungen an die gemeinsame Zeit hockkommen,dafür schicke ich ihnen ein Lächeln....ohne Traurigkeit...

LG Julia
Papa
16.04.2003
Traumbild #: 69
Habe heute Nacht wieder von dir geträumt. Und als ich dann heute Morgen meine Emails abholte, da war auch ein Email von Brigitte dabei, die ihren Sohn Fredi verloren hat und weiß wie das mit dem Träumen ist.

Sie hat dieses Gefühl beim Träumen so beschrieben:

Er sieht mich an, und ich merke, das ich seine Gedanken lesen kann, und er meine.
Ich denke: Ich weiß, dass es ein Traum ist, und dass du in Wirklichkeit tot bist.
Er denkt: Für dich sieht es aus wie ein Traum, tatsächlich ist es aber eine zweite Realität. Es ist also anders als du denkst. Verstehst du mich?
Ich denke: Ja, ich verstehe dich.
Er denkt: Ich muss wieder gehen.
Ich denke: Ich weiß.

Dann wache ich auf.


Genauso ist es. Genauso.
Ich habe geweint, als ich es gelesen habe und ich weine jetzt wieder während ich es schreibe.
So ist es auch wenn ich bei dir am Grab stehe.
Und ich hasse den Moment wenn du wieder gehen musst.
Komm bald wieder. Bitte.
Pass auf dich auf.
liebetiger
jacqueline
08.04.2003
#: 68
Lieber Rolf,
durch zufall bin ich auf deine seite gekommen,
seit dem war ich öfters hier und habe mir jeden text mindestens 2 mal durch gelesen und immer wieder hatte ich trännen in den augen!
ich selber bin erst 15 !
ich wusste nicht wirklich wie es ist wenn man einen menschen den man so sehr liebt plötzlich verliert!doch durch deine texte und gedanken die du hier geschrieben hast kann ich es ein bisschen besser nach vollziehen!
ich bewundere deine kraft und ich denke das dein ingo sehr sehr stolz auf dich ist!
er sitzt bestimmt jede nacht auf seinem stern und sieht dir zu und auch am tage wird er dich beschützen, dabin ich mir ganz sicher!!!
ich wünsche dir noch ganz viel kraft!!!!
und denk immer dran dein "liebetiger" liebt dich sicher sehr!!!und irgendwann werdet ihr euch wieder sehen!!!
zünde bei ingo bitte eine kerze von mir an!!!!

ich will dir jetzt noch etwas schreiben das sagte meine oma mal zu mir als es ihr sehr schlecht ging aber sie hat überlebt!!!
"der körper stirbt und wird dich verlassen doch die seele eines menschen wird immer in dir weiter leben und dich lieben, sie stirbt erst dann wenn sie vergessen wird! behalte sie in erinnerung wenn es dir schlecht geht weine um sie aber versucher dann wieder für sie zu lachen!"

*ich hoffe mit den dingen die ich dir geschrieben habe habe ich dich nicht verletzt denn das wollte ich auf gar keinen fall!!! abe rich dachte mir das es "blöd" ist einfach nur zu schreiben "mein beileid" denn ich finde diese beiden worte können noch mehr verletzten!
ich werde deine seite weiter hin öfters besuchen!!!*

und jetzt wünsch ich dir noch mal alles erdenklich gute und ganz viel kraft!!!!
Papa
31.03.2003
1055 Tage ohne dich. #: 67
Lange war ich nicht mehr bei dir am Grab.
So kommt es mir vor, denn dein dritter Todestag kommt immer näher.
Am 10. Mai vor drei Jahren hat es dich aus dem Leben und von meiner Seite gerissen.

Mir ist als wäre es gestern gewesen.
So frisch sind deine Spuren in meinem Leben. Ich wache morgens mit Gedanken an dich auf, nachdem ich Nachts von dir geträumt habe und durch unsere gemeinsamen Erinnerungen gereist bin.
Tagsüber stoße ich immer wieder, auf deine Spuren in meinem Leben. So wie auf die alten Turnschuhe, deine Kickstiefel, die mir einen emotionalen Knockout verpassen. Und letzte Woche, als ich nach langer Zeit mal wieder am Computer war und unser altes Computerspiel „Quake“, dieses „Kill & Run Game“, gespielt habe.

Diesmal alleine ohne dich, nur gegen den Computer und seine Monster, die mir nach dem Leben trachten; ohne deine Unterstützung und Hilfe. Kein Teamwork mehr, keine Feuerschutz, keine Rückendeckung um zu überleben.
Allein auf mich gestellt habe ich es auch nicht bis in den nächsten Level des Spiels geschafft; die Monster haben mich vorher erwischt und gnadenlos gekillt.
Und als mein elektronischer Todesschrei aus dem Lautsprecher hallte, erschien zeitgleich eine Meldung am Bildschirm „Player Ingo was killed by an OGRE“.

Im Computer sind noch deine Spieleinstellungen gespeichert. Der Computer kann sich noch an den Player Ingo erinnern. Er kann ja nicht wissen, dass der Player Ingo im realen Leben von einem „Lastwagenfahrer“ getötet wurde.
Ich weiß noch genau, wie wir damals deine Spielerfigur für dieses Spiel eingerichtet haben. Heute würde man dazu „gecustomized“ sagen. Diese Figur ist noch da, genauso wie du sie wolltest. Jedes einzelne Detail. Die Farbe der Hose, der Jacke. Die Farbe deines Helms; silbern wie in der Realität.
Ich starre fassungslos auf die Meldung am Bildschirm „Player Ingo was killed by an OGRE“ und sehe deine Spielerfigur über den Bildschirm laufen.

Die geballte Ladung Erinnerungsschmerz traf mich ohne Vorwarnung. Mir blieb die Luft weg, die Tränen schossen mir aus den Augen und ein Seufzer kam aus meinem Innern von ganz tief unten. Dieser Seufzer kommt von ganz tief drinnen, er kommt langsam die Luftröhre hoch, füllt den Rachenraum und drückt dann mit brutalster Gewalt den Kiefer auseinander, verzerrt das Gesicht zur Fratze und dringt dann mit aller Gewalt ins Freie.
Wie nach dem unverkennbaren, einmaligen Geräusch eines fallenden Baumes, das dem Lärm der Kettensäge folgt, folgt dann absolute Stille. Als würde die Welt zum Gedenken kurz den Atem anhalten und den Verlust zu betrauern.
Im Wald bleibt nach dem Fällen eines Baumes eine Lücke, die die Natur im Laufe der Jahre mit neuem Leben wieder schließt.

In meinem Herzen ist eine Lücke, die sich nicht wieder schließt.
Hier wächst nichts nach.
Der Platz, dein Platz, bleibt so wie er ist.
So als wärst du erst gestern gegangen.

Mir ist als wäre es erst gestern gewesen.

Pass auf dich auf, da wo du jetzt bist.

Ich dich „liebetiger“
Petra
22.03.2003
Ich wünsche Dir #: 66
Lieber Rolf,

Ich wünsche Dir,
das Dich das Licht eines neuen Morgens
hell umfängt,
das die ersten Sonnenstrahlen
Deine Müdigkeit berühren
und Deine Traurigkeiten erwärmen.

Ich wünsche Dir,
das die weißen Wolken am Himmel
Deine versunkenen Träume
wieder aufsteigen lassen in Dir
und Deine wiederentdeckten Sehnsüchte
Dich in den Tag hinein bewegen.

Ich wünsche Dir,
das der Wind
Deinen Atem belebt
und Dich erfrischt,
zu neuen Schritten
durch die Veränderung gesieht.

Ich wünsche Dir,
das Dich die Dunkelheit der Nacht
nicht ängstigt und bedroht,
sondern das Dir ein Stern aufleuchtet
der Dir Hoffnung verheißt
für den beginnenden Tag.

Alles, alles Liebe Petra
http://www.traenental.de
Eric
19.03.2003
#: 65
Hallo,

ich bin durch Zufall auf diese Seite geraten und habe mir wirklich sehr sehr viel durchgelesen und angeschaut. In einigen Momenten standen mir Tränen in den Augen und ich wusste nicht, ob ich weiterlesen soll. Ich bin auch erst 18 Jahre!!!

Ich bewundere all die Leute, die die Kraft aufbringen können, mit so einem tragischem Verlust eines liebsten Menschen umzugehen und gar weiterzuleben.
Papa
07.03.2003
Die alten Turnschuhe #: 64

Am letzten Sonntag kümmere ich mich nach langer Zeit auch mal wieder um die Schuhe, die sonst ungenutzt im Schuhregal herum stehen und vor sich hin stauben.
Um es besonders gründlich zu machen nehme ich alle Schuhe aus dem Regal, stelle sie paarweise im Kreis auf den Boden und setze mich dann mit Schuhbürste und Schuhcreme mitten hinein.
Ein Paar nach dem anderen kommt so an die Reihe. Zuerst die Braunen, dann die Schwarzen, dann Wildleder und zum Schluss dann die Turnschuhe.
Darunter ist ein Paar, das ich nicht kenne, obwohl es meine Größe hat. Komisch!
Vielleicht hat die Schuhe jemand vergessen, der in jüngster Zeit zu Besuch war?

In Gedanken gehe ich die Besucher der letzten Wochen und Monate durch, doch zu keinem kann ich eine Beziehung zu den Schuhen herstellen. Während ich weiter putze grüble ich darüber nach wem die Schuhe gehören könnten. Es fällt mir niemand ein. Der Größe nach könnten es meine Schuhe sein; der Art nach auch und dass man damit offensichtlich Fußball auf einer Wiese gespielt hat verstärkt die Vermutung.
Ich denk mir: „Jetzt wirst du langsam alt, kennst schon deine eigenen Schuhe nicht mehr“.
So sitze ich auf dem Boden, die Knie angezogen, in der einen Hand die Schuhbürste und in die andere Hand das Kinn aufgestützt und überlege.
Es fällt mir nicht ein wann ich die Schuhe zum letzten Mal angehabt habe. Es muss beim Fußball spielen gewesen sein. Das ist schon lange her. Seit Ingo tot ist habe ich nicht mehr gespielt. Fast drei Jahre nicht mehr, davor jedes Wochenende.
Ich versuche mich zu erinnern, wann ich zum letzten Mal mit Ingo gespielt habe. Ich kann mich nicht daran erinnern. Es muss auf einer Wiese oder einem Rasenplatz gewesen sein.
Ingo starb am 10.Mai 2000.
Irgendwann vorher haben wir zum letzten Mal Fußball gespielt. Aber wann und wo?
Immer angestrengter versuche ich mich zu erinnern, starre die Schuhe an und nehme schließlich einen in die rechte Hand. Ich nehme den schmutzigeren Schuh, den der offensichtlich für Torschüsse und Flanken zuständig ist. Gras und etwas Erde hängen noch an der Sohle und in den Rillen. Die Schuhkuppe und der Spann sind braungrün, der Rest des Schuhs in einem undefinierbaren weißgrau. Die Schnürsenkel sind offen und doch verknotet. So unordentlich würde ich meine Schuhe nie ins Regal stellen, geht mir durch den Kopf.
Ich stelle den Schuh neben mein rechtes Bein und greife nach dem zweiten, etwas saubereren Turnschuh, in der Hoffnung dort irgendein Zeichen auf seinen Besitzer zu finden. Ich drehe und wende diesen Schuh, blicke in den Schuh, auf die Sohle; ohne Zweifel Schuhgröße 42.
Ich werde immer ratloser. In der linken Hand die Schuhbürste, in der rechten Hand den Schuh blicke ich nachdenklich an meinem rechten Bein entlang auf den schmutzigen rechten Turnschuh, den ich auf den Boden gestellt habe.
Er sieht irgendwie komisch aus, passt so überhaupt nicht zu meinem rechten Fuß. Warum eigentlich nicht? Was ist an dem Schuh anders als an meinem Fuß?
Irgendetwas ist anders.

Natürlich, das ist es! Es ist ein linker Schuh, der da nicht zu meinem rechten Fuß passt!

Aber warum ist der linke Schuh schmutziger als der rechte, den ich in der Hand halte? Ich schieße meine Flanken und Tore mit dem rechten Fuß! Das kann nicht mein Schuh sein!
Jetzt weiß ich es definitiv.
Also hat mein Gefühl doch recht gehabt und ich bin auch nicht senil und vergesslich geworden. Ich kenn doch meine Schuhe!

Aber wem gehören dann die Turnschuhe, bei denen der linke Schuh schmutziger ist als der rechte?
Wer spielt Fußball, oder hat mit mir gespielt und schießt mit dem linken Fuß?

Ingo!
Ingo, fährt es mir durch den Kopf!
Natürlich! Ingo schießt links!
Das sind Ingos Turnschuhe!

Ich sehe ihn deutlich vor mir. Ingo spielt und schlägt seine Bananenflanken, Pässe und Schlenzer mit dem linken Fuß. Wie oft hat er mich damit ausgetrickst
Das sind Ingos Turnschuhe.

Tränen laufen mir aus den Augen, ziehen langsam eine Furche über die trockene Haut und tropfen dann auf den Boden.
Es sind Ingos Schuhe!
Noch so, wie er sie nach dem letzten Spiel ausgezogen hat!
Genauso!
Noch mit dem Gras an der Sohle, als sei es erst gestern gewesen!

Mein Kopf sinkt auf die angezogenen Knie; ich kann den Blick nicht vom rechten Turnschuh wenden und weine leise vor mich hin. Gedanken ziehen mir durch den Kopf wie Nebelschwaden an einem Herbstmorgen. Der Schmerz rumort in meinem Inneren, fährt die Kehle rauf und runter.
Die linke Hand mit der Schuhbürste zittert Die andere Hand presst den Schuh liebevoll gegen meine Wange. Meine Gedanken eilen zurück in eine andere, glückliche Zeit, in der ich damals mit einer gedankenlosen Selbstverständlichkeit gelebt habe.
Ich sitze zusammengekauert am Boden und werde in den warmen Wellen der Erinnerung geschaukelt wie Treibgut im Wellengang des Meeres.

Es ist ein schönes Gefühl. Ich bin Ingo ganz nah. Ich kann ihn sehen, kann ihn riechen und kann ihn fühlen. Raum und Zeit verschwimmen, bis sie aufhören zu existieren. Ich sehe Ingo, wie er mit dem Ball über den Rasen auf mich zuläuft, dann den Kopf hebt und die Stelle sucht wo er mir den Ball hinflanken kann.
Ich hebe den Arm, rufe „Tiggi“ und winke um mich bemerkbar zu machen.
Ingo sieht mich; er sieht mich an und lächelt.
Ja, lass mich diesen Moment festhalten.
Lieber Gott mach, dass die Zeit jetzt stehen bleibt.
Genau so, so wie es jetzt ist. Greif ins Getriebe der Zeitmaschine und halt sie an.
Mach es einfach mir zuliebe. Jetzt komm schon Gott und mach! Komm und halt die Zeit an!
Und wenn du das nicht kannst, dann halt doch einfach meine Zeit an.
Komm und mach mich tot. Jetzt. Ich bin soweit.
Und die Zeit bleibt stehen, genauso wie ich es mir gewünscht habe.
Kein Gefühl mehr für Raum und Zeit, kein Gefühl mehr für die Gegenwart, nur unendlich glücklich in der Vergangenheit. Wie lange ich so sitze und Blickkontakt mit Ingo habe weiß ich nicht.
Es ist mir auch egal.

Von irgendwo her kommen Geräusche. Erst weit entfernt, dann näher, aber wie durch Watte gedämpft. Unwirklich. Dann höre ich eine Stimme. Sie ruft. Sie ruft nach mir. Ich drehe den Kopf ein bisschen, damit ich besser hören kann, wie jemand der unwillig aus dem Schlaf erwacht.

Die Stimme ruft „Essen ist fertig“ und nach einer kurzen Stille noch mal „Du kannst Essen kommen und bring Getränke mit rauf“.
Ingo lächelt mir noch einmal zu, dann dreht er sich um und geht. Er verschwindet mitten auf der Wiese, als hätte er sich in Luft aufgelöst.

Ich höre Schritte auf der Treppe. Ich schrecke hoch als hätte man mich bei etwas Verbotenem erwischt und rufe: „Jaaa, ich komme, ich komme gleich“.

Ich liebe dich Ingo. Ich liebe dich. Tiggi ich liebe dich. Mein lieber Tiggi.
Pass auf dich auf, da wo du jetzt bist.
Ich dich auch „liebe tiger“.

Die Schritte entfernen sich wieder, ich höre wie einzelne Stufen knarren. Ich stehe auf, reibe mir die Augen trocken und wische über das Gesicht. Zurück im Alltag. Wieder einmal.

Mit den Getränkeflaschen unterm Arm steige ich die Treppe hinauf und gehe in die Küche. Dort steht Caro, mein zweite Frau. Sie schaut mich an und merkt sofort, dass mit mir etwas nicht stimmt. „Was ist?. Was ist mit dir?“, fragt sie leise, „du hast ganz rote Augen, ist dir nicht gut, was hast du gemacht?“.

Was soll ich ihr jetzt sagen? Wie soll ich das erklären. Soll ich sagen, dass das sicher von den chemischen Ausdünstungen des Schutzputzmittels kommt? Sie wüsste sofort, dass das nicht stimmt.

„Ingo?“, fragt sie.
Ich nicke stumm und lehne mich mit herunterhängenden Armen leicht an sie. Sie nimmt meine Hand, legt ihren Kopf an meine Brust und schweigt, während auf dem Herd das Essen leise vor sich hin köchelt.

Es ist gut im Leben eine Frau an seiner Seite zu haben.
Es ist noch besser eine Frau zu haben, die versteht ohne zu fragen.
Eine Frau, an die man sich anlehnen kann wenn einem danach zu Mute ist.
Auch wenn dabei auf dem Herd das Essen bis zur Unkenntlichkeit verkocht.

Caro, ich danke dir dafür.
Papa
03.03.2003
Schön war es .... #: 63
Schön war es bei dir am Grab zu sein und in der warmen Frühlingssonne zu sitzen. Niemand da der stört, während ich meinen Gedanken nachhänge.
Die Gräber sind noch ein bisschen verzaust vom Winter und harten Frost. Der Boden noch hart, aber an der Oberfläche regt sich schon erstes neues Leben. Vereinzelt sieht man schon Schneeglöckchen blühen und an den Weiden zeigen sich die ersten Kätzchen.
Ein wunderschöner Tag den ich mit dir an diesem traurigen Ort verbringe. Langsam lasse ich meinen Blick über die Grabsteine schweifen. Der Tod hat reiche Ernte eingefahren im Jahre 2000 des Herrn. Sieben Menschen hat er sich in diesem Jahr aus der kleinen Gemeinde geholt; mehr als in den folgenden drei Jahren zusammen. Es war kein gutes Jahr das Jahr 2000, kein guter Beginn für ein neues Jahrtausend.
Sieben Menschenleben hat der Tod ein Ende gemacht, fünf davon im ersten Halbjahr, als hätte er sich in einem Massaker auf das neue Jahr eingestimmt. Zwei Leben hat er durch gewaltsamen Tod beendet. Links von dir ist Bruno begraben. Er hat sich selbst das Leben genommen, keiner weiß warum. Frau und Kinder hat er einfach zurückgelassen und ist, kaum 40 Jahre alt, fortgegangen.
Du wolltest nicht gehen. Du wolltest leben. Dein Leben fing gerade erst an. Die Schwelle vom Kind zum Mann lag nur wenig vor dir, als dich die Unachtsamkeit eines anderen das Leben kostete. Dich hat der Tod mitten im Leben erwischt. Ich verstehe bis heute nicht warum. Warum du? Warum ausgerechnet du?

Ich schließe die Augen und sehe dein Gesicht vor mir. Wehmütige Erinnerung macht mir die Kehle eng und schmerzt. Salziges Wasser findet einen Weg unter den geschlossenen Lidern hervor und läuft kühl die Wange hinab. Doch es ist warm in der Sonne. Wie damals an dem Sonntag an dem wir die Strasse mit Musik gefunden haben.
Weißt du noch?

Es ist Sonntagnachmittag und wunderschönes Wetter.
Und in etwa zwei Stunden muss Ingo zu Hause sein und dann ist unser gemeinsames Wochenende wieder einmal vorbei. Ich fahre rechts an den Straßenrand und halte an.
Ingo schaut mich an und sagt: „Was ist los, gibt’s Probleme?“
„Ja“, sage ich, „der Z3 will diese Straße noch mal fahren.“
„Warum will der Z3 die Straße nochmals fahren?“, will Ingo wissen.
„Weil sich der Z3 gerade in diese Straße verliebt hat“, gebe ich zur Antwort.
Ingo schaut mich an und versteht nicht.
„Hast du heute schon gelebt?“, frage ich ihn.
Er versteht immer weniger.
„Komm ich zeig dir was ich meine“, sage ich und lege den Gang ein.
Wir fahren die ganze Strecke zurück, etwa fünf Kilometer, bis zu der kleinen Abbiegung, die etwas versteckt hinter einer alten Scheune liegt, die irgendwann mal zum Wohnhaus umgebaut wurde. Da wende ich den Wagen erneut.
„Hast du dir die Strecke gut gemerkt?“, will ich von Ingo wissen. „Ja, so einigermaßen“, meint er.
„Okay, dann halt dich gut fest. Jetzt zeige ich dir mal wie das ist, wenn ein Z3 sich in eine Straße verliebt hat.“
Ich lege den ersten Gang ein, nicht brutal, sondern fast zärtlich.
Der Wagen rollt langsam an, nimmt stetig Fahrt auf. Ich schalte und fahre auf die erste Kurve zu, rechts und links sind Wiesen. Weiter weg ein paar Büsche und dahinter beginnt der Wald.
Die Straße fällt leicht ab und man kann die nächsten Kurven sehen, wie sie sich durch das Tal schlängeln.
Fast die nächsten zwei Kilometer sind zu überschauen, bis es auf der anderen Seite des Tales wieder den Berg hochgeht und die Straße über eine Kuppe auf der Hochfläche verschwindet.
Die erste Kurve nimmt uns auf, wir spüren die Fliehkraft die nach außen drückt, spüren den Schub der Räder die dagegenhalten und den Wagen nach vorne treiben. Wir kommen aus der ersten Kurve und werden nahtlos von der zweiten aufgesogen, nur in die andere Richtung.
Ohne die Geschwindigkeit zu verändern, geht es hinab ins Tal in nicht endend wollenden Rechtslinkskombinationen.
Es ist wie Tanzen, wie Musik in die man sich hineinwirft und fallen lässt. Ein Rhythmus der einen packt und mitreißt.
Nicht rasen oder rennen darf man auf dieser Straße, man muss sie tanzen. Nicht zu schnell werden, nicht aus dem Takt kommen, sonst kann sie böse und gefährlich werden.
Wir tanzen diese Straße entlang wie ein Korken auf den Wellen, mal oben, mal unten, mal rechts und mal links.
Diese Straße macht betrunken, sie lullt ein, treibt Hormone durch die Blutbahn.
Der Fahrtwind zerrt an meiner Mütze, ich muss nicht schalten, halte das Lenkrad ganz ruhig, nur mit kleinen Ausschlägen nach rechts und links.
Der Z3 sucht sich seinen Weg selbst, ich lasse ihn laufen und genieße sein Wiegen, sein Gleiten und seinen Rhythmus.
Der Erbauer dieser Straße war ein Künstler.
Er war ein Genie. Er hat etwas wunderschönes geschaffen.
Wir erreichen den tiefsten Punkt der Straße, wo mit einer scharfen Kurve nach rechts der Anstieg zur Hochfläche eingeleitet wird.
Ich schalte herunter, gebe Zwischengas und lasse den Z3 in diese Kurve hineinlaufen. Dann am Scheitelpunkt trete ich das Gaspedal durch, der Wagen beschleunigt aus der Kurve heraus, man spürt die Kraft, mit der es den Wagen nach vorne schiebt. Vom Heck her meldet sich der Auspuff mit einem kräftigen Brummton.
Ich beschleunige den Berg hoch, die Gerade entlang, bis kurz vor die erste Serpentinenkurve.
Jetzt nicht bremsen, nur runterschalten, mit Zwischengas hinein in die Kurve und mit Vollgas wieder heraus.
Fast wie bei einem Burnout dreht der Z3 hinten weg und schiebt dann wieder kraftvoll aus der Kurve heraus.
Das Lenkrad habe ich dabei kaum gebraucht. Nur ganz kurz zum Einlenken in die Kurve. Den Rest machen die Hinterräder, die auf der rauen Straße guten Halt finden.
Wir kommen den Berg hoch. Jetzt kommt die unübersichtliche Kuppe und dann die Sicht auf den gesamten weiteren Straßenverlauf auf der Hochfläche.
Ich nehme das Gas zurück, schalte vor der Kuppe nochmals herunter und lasse den Wagen dann ohne Gas über die Kuppe rollen.
Wir fahren langsam über die Hochfläche, genau in die Sonne hinein.
Der Motor brummelt leise vor sich hin.
Ich blicke kurz zu Ingo, ohne die Straße aus den Augen zu lassen.
Er sieht mich von der Seite her an.
„Jetzt weiß ich“, sagt er, „was dieses Auto für dich bedeutet. Jetzt habe ich verstanden, warum du genau dieses Auto gekauft hast. Ich habe dich während der Fahrt beobachtet und ich weiß was du gefühlt hast.“
Ich schaue ihm direkt ins Gesicht.
„Was hast du gefühlt?“, frage ich ihn, doch er gibt mir keine Antwort. Wie in Gedanken verloren scheint er an mir vorbei in die Ferne, in seine eigene Zukunft zu schauen.
Dann sagt er wie zu sich selbst: „Hier fahre ich mal mit dem Motorrad.“

Ich werde es nie vergessen.
Ich weiß, du bist später diese Straße mit dem Motorrad gefahren.
Wir haben nie darüber gesprochen, aber ich kann mir vorstellen was du gefühlt hast.
Ich habe seit deinem Tod nicht mehr den Mut gehabt über diese Strasse zu fahren.
So vieles hat sich durch deinen Tod geändert.

Ich auch.
Ich denke an dich.
Ich dich auch „liebe tiger“
Gudrun E.
26.02.2003
Danke #: 62
Lieber Rolf, ich wähle den Weg über Ingos HP, um mich ganz, ganz lieb dafür zu bedanken, dass du an Katharinas Geburtstag gedacht hast. Es tat so weh, daran zu denken, wie dieser Tag verlaufen wäre, wenn....
Immer ( noch ) diese Fragen, die vom Konjunktiv bestimmt werden : Wäre sie bei uns gewesen, hätte sie eine Fete mit vielen Freundinnen und Freunden gemacht??? Die bittere Realität war ein Besuch an Katharinas Grab, ein stummer Monolog, weil sie nicht mehr da ist, um mit mir zu reden.Sie fehlt mir so.
Ich möchte euch- dir und Ingo- einige Zeilen senden, die ich zu Kathis Geburtstag von einer betroffenen Mutter bekam :

Das größte Geheimnis
ist das Leben.
Das tiefste Geheimnis
ist die Ewigkeit.
Das schönste Geheimnis
ist die LIEBE.

Geheimnis,
dem selbst der Tod
machtlos gegenübersteht.

Mit lieben und gleichzeitig sehr traurigen Grüßen, Gudrun.

Papa
25.02.2003
Hallo Tiger #: 61
Donnerstag komme ich dich wieder besuchen.
Ich habe mir viel Zeit für uns reserviert und kann lange bleiben.
Wenn das Wetter so schön ist wie heute, kann ich mich auf die Bank an deinem Grab setzen und wir können zusammen eine kleine Reise in die Vergangenheit machen. Zurück in die Zeit als die Welt für uns noch in Ordnung war. Als das tägliche Einerlei noch wichtig war und unser Leben dominiert hat. Ach hätten wir doch gewußt, dass die Zeit endlich ist. Jede Minute hätten wir ausgekostet, wenn uns das bewußt gewesen wäre.

So aber haben wir unsere Zeit mit Unwichtigem verbracht, viel zu wenig Zeit für uns verwendet.
Jetzt ist es zu spät.
Ich sitze auf der Bank an deinem Grab in der warmen Frühlingsonne und du liegst im noch gefrorenen Erdreich. Genau an der gleichen Stelle wo wir dich vor fast drei Jahren begraben mussten.

Wir werden beide schweigen und unseren Gedanken nachhängen, bis die Zeit kommt und ich wieder gehen muss.
Dann werde ich die Hand auf deinen Grabstein legen, einen letzten intensiven Gedanken mit dir teilen und wieder einmal Abschied nehmen. "Leb wohl Tiger und pass auf dich auf, da wo du jetzt bist. Ich vermisse dich, jeden Tag, jede Stunde. Ich liebe dich, ich dich auch liebe tiger".

Es fällt mir immer schwer die Hand vom Grabstein zu lösen, mich abzuwenden und zwischen den Gräbern davon zu gehen. Ein letzter Blick noch über die Schulter, ein letzter Blick zurück, dann schlägt das quietschende Eisentor hinter mir zu.

Bis nächste Woche Tiger. Versprochen ist versprochen und wird auch nicht gebrochen.
Rolf
20.02.2003
Kölner Haie - Adler Mannheim 4:5 #: 60
Ja, Ingo hätte sich riesig gefreut.
Vermutlich wären wir auch beim Spiel in Köln dabei gewesen und wieder tausend Tode gestorben, denn fast hätten die Adler doch noch verloren.
Und auf der Heimfahrt hätte mir Ingo alle Spielzüge nochmals bis ins Detail erzählt und dass er sich vor dem Spiel schon ziemlich sicher war, dass die "Määnheim Eagles" gegen die Haie diesmal gewinnen werden.
Wie immer hätte Ingo im Stadion gelitten.
Bei jedem Tor das die Adler schießen, springt er herum vor Freude, reißt die Arme hoch, packt mich an den Schultern und schüttelt mich, dass mit Hören und Sehen vergeht. Wenn er sich dann langsam wieder abregt, bekomme ich noch einen liebevoll kräftigen Schlag in die Rippen, bevor er mir dann den Arm um die Schulter legt und meint „Na, Vatterle, wie haben wir das wieder gemacht?“.
Verlieren die Adler, dann senkt er den Kopf, stiert auf den Boden, murmelt irgendetwas Unverständliches vor sich hin, steckt die Hände noch tiefer in die Taschen und zieht die Schultern hoch, als ob ihm kalt wäre.
Kalt wäre ihm bestimmt nicht gewesen, mit Mütze, langem Fanschal und zwei Trikots. Beide natürlich in Größe XXL, eines um die Hüfte gebunden, das andere über den Pullover angezogen.
Wir hätten gelitten und geflucht, geweint und gelacht, gestritten und geschimpft.
Wir hätten gesungen, gegröhlt und unseren sportlichen Erzfeind die Kölner Haie, denen wir so viele schöne Spiele zu verdanken haben, wie immer akustisch verhöhnt.

Auf der Rückfahrt wäre Ingo auf dem Beifahrersitz dann eingeschlafen, den Kopf leicht zu mir gedreht, ein kleines, glückliches Lächeln um die Lippen.
Ja, so wäre es gewesen.
Schön wäre es gewesen. Im Auto wohlig warm, von draußen leise die Geräusche des Verkehrs. Und aus dem Radio sein Lied:
Thank you for the days
those endless days you gave me,
I'm thinkin' of the days,
I won't forget a single day believe me.
Days I’ll remember all my life ...
Gaby St.
20.02.2003
#: 59
Die "Adler" haben gewonnen - sie sind Meister, ich denke Ingo wäre bestimmt ganz aus dem Häuschen - ein gutes Geburtstagsgeschenk.

Liebe Grüße
Gaby
Papa
16.02.2003
Zweiundzwanzig Kerzen .... #: 58
Zweiundzwanzig Kerzen stehen seit Donnerstag um Ingo’s Grab.
Eine für jedes Jahr.
Neunzehn davon für die schönen Jahre seines Lebens, als die Welt noch in Ordnung war.
Drei zur Erinnerung an einen geliebten Menschen, einen einmaligen Sohn, und einen guten Freund.
Das Licht der Kerzen gibt in der Dunkelheit ein Gefühl von Wärme und Leben und lässt wie ein Kaminfeuer flackernde Schatten über den Grabstein huschen. Trotz der Kälte ein guter Ort für Gedanken und Erinnerungen.
Ich stehe lange im Halbdunkel und starre auf das erleuchtete Grab.
Es ist still.
Auch der Verkehr auf der nahen Landstraße scheint einen Moment den Atem anzuhalten.

„Hallo Tiger“, murmle ich vor mich hin, „happy birthday, alles Gute zum Geburtstag.
Nicht nur von mir, auch von Carola und Fabian.
Und von Gudrun, Angelika und Harry, Richard, Christa, Gaby, Julia, Ingrid, Beate, Dagmar und Bettina. Sie alle denken an dich. Nicht nur heute, weil dein Geburtstag ist. Sie denken an dich weil Sie wissen was Geburtstage bedeuten und wieviel Kraft sie kosten. Auch sie haben Kinder, da wo du jetzt bist. Richte ihnen schöne Grüße aus.
Grüße Katharina, Stefanie, Sandra, Carsten, Björn, Markus, Maxi, Sascha, Lars, Noah und Oliver und all die anderen von uns. Sag ihnen, dass sie auf sich aufpassen sollen und dass wir sie vermissen. Jeden Tag, jede Stunde“.

Dann versagt mir die Stimme. Das Licht der Kerzen verschwimmt im salzigen Wasser meiner Tränen.

„Happy birthday tiger, happy birthday“.
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